Rezension: Massimo Marini von Rolf Dobelli


„Massimo Marini“ von Rolf Dobelli ist die Geschichte eines Secondo-Sohns, der in seinem Leben eine Reise quer durch alle Schichten und Facetten der Schweizer Gesellschaft macht. Die Erzählung, durch die Dobelli sehr gekonnt führt, ist jedoch überladen.

Massimo Marini wird im Alter von vier Monaten im tiefsten Winter in einem Koffer von Italien in die Schweiz geschmuggelt. Seine Eltern arbeiten beide als Saisonniers in der Schweiz und dürften aufgrund der Aufenthaltsbestimmungen kein Kind haben. Massimo wird daher die ersten Jahre versteckt aufgezogen und hat auch später, als er legal in der Schweiz weilt, mit Vorurteilen und Rassismus zu kämpfen.
In der Schule interessiert sich für Theater und Philosophie – sehr zum Missfallen seines Vaters, der ein Tunnelbauunternehmen führt. Massimo beginnt ein Philosophiestudium, erzählt seinen Eltern jedoch, dass er Architektur studiere. Er verbringt ein Auslandsemester in Paris, wo er in die links-alternative Szene rutscht. Zurück in der Schweiz bleibt er seiner Linie treu und wird als einer der Anführer des Opernhauskrawalls, im Zuge dessen er verhaftet wird, aktiv. So kommt Massimos Vater dem Schwindel seines Sohns auf die Schliche, doch auch die Öffentlichkeit bekommt Wind von der Sache. Die Konsequenz: Massimos Vater alle staatlichen Aufträge entzogen. Die Firma geht Konkurs, Vater und Sohn haben keinen Kontakt mehr.
Massimos Vater schlägt sich durch und baut sich eine Kanalisationsfirma auf. Massimo studiert in der Zwischenzeit Literatur in Deutschland, wo er sich weiter in der linken Szene aufhält und gegen Atomstrom und Ronald Reagan demonstriert. Doch dann stirbt sein Vater und Massimo entscheidet sich, die Firma seines Vaters zu übernehmen, obwohl er keine Ahnung von der Materie hat.

Hohe schriftstellerische Kunst
Rolf Dobelli nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Schweizer Geschichte, die in der heutigen Gesellschaft endet. Geschickt verknüpft er an der Person Massimo Marini die Secondo-Problematik in der Schweiz, die in der Schwarzenbach-Initiative gipfelte, die Opernhauskrawalle, die Antiatomstrom-Bewegung, die Schweizer Baubranche und auch der soziale Auf- und Abstieg. Was beeindruckt ist, wie Dobelli diese vielschichtige und komplexe Geschichte gekonnt zusammenfügt und von Massimo Marinis Rechtsanwalt Wyss, der sich wegen Depressionen in einer Klink in Zürich befindet, erzählen lässt. Ebenfalls überzeugend ist die Recherchearbeit, die Dobelli auf sich genommen hat, um den Roman zu verfassen. Dies zeigt sich nicht nur am detaillierten Wissen, das er über die Secondos, den Tunnelbau oder die klassische Musik einfliessen lässt, sondern auch daran, dass sich seine Sprache und die Art zu schreiben jedes Mal verändert, wenn sich die Person in Roman in einem anderen Milieu aufhält.

Zu viele Wendungen am Ende
Dennoch habe ich einen Kritikpunkt an Dobellis Roman: Er ist überladen. Wie bereits beschrieben, deckt er ein enormes Themenspektrum ab, doch es kommen auch noch extrem viele unerwartete Wendungen dazu. Bis zu dem Punkt, an dem Massimo Marini sich von einer Frau scheiden lässt, um die berühmte Cellistin Julia Bodmer zu heiraten, ist alles in Ordnung. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Durch die Heirat mit Julia steigt Massimo in die High Society der Schweiz auf, doch privat läuft es nicht. Julia verweigert sich ihm. Die beiden haben keinen Sex, da sie als Kind von ihrem Klavierlehrer missbraucht wurde. Dann ist es ausgerechnet Massimos Sohn aus erster Ehe, Raffael, der eine Affäre mit Julia hat. Aus dieser verbotenen Liaison entsteht ein Kind und so muss Julia ihrem Mann beichten, dass sie mit seinem Sohn ein Kind gezeugt hat. Vater und Sohn beginnen sich zu hassen. Der Konflikt gipfelt darin, dass Raffael seinen Vater mit einem Schwert angreift und dieser seinen Sohn in Notwehr umbringt. Bei der abenteuerlichen Vertuschungsaktion in Rom bekommt Massimo Hilfe von seinem Studienfreund Nick Lentz, der noch immer für die Antiatomstrom-Bewegung kämpft und den toten Raffael zu Propagandazwecken missbraucht. Am Ende kommt dann sogar noch aus, dass Raffael gar nicht der Sohn von Massimo war, sondern aus einem One-Night-Stand zwischen Massimos Ex-Frau und Rechtsanwalt Wyss entstand.

Noch mehr Themen, Wendungen und Überraschungen in einen Roman zu packen, wäre wohl nicht möglich gewesen. Schade, denn so kamen die einzelnen Themen zu kurz. Trotzdem hat das Lesen Spass gemacht und aufgrund der schriftstellerischen Klasse von Dobelli kann ich das Buch durchaus weiterempfehlen. Ganz knapp vier Punkte. (fba)


Bibliografische Angaben:

Titel: Massimo Marini
Autor: Rolf Dobelli
Seiten: 375
Erschienen: 2012
Verlag: Diogenes
ISBN-10:  3257240929
ISBN-13: 978-3257240924
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